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Herr Gremmels, im Herbst endet die aktuelle Legislaturperiode des Bundestags. Sie setzen sich im Ausschuss für Wirtschaft und Energie für die Energiewende ein. Worin sehen Sie die größten politischen Erfolge für den Ausbau der Erneuerbaren Energie der letzten vier Jahre?

Ein ehrgeiziges Klimaschutzgesetz, das machbar ist : Wenn ich einen einzelnen energie- und klimapolitischen Erfolg der ablaufenden Legislaturperiode hervorheben soll, dann ist das das Klimaschutzgesetz, das wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal nachgeschärft haben. Erstmalig unterliegen alle Bereiche unserer Wirtschaft – die Energieversorgung, der Verkehr, die Gebäudeenergie, die Industrie und selbst die Landwirtschaft gesetzlich definierten Klimazielen, die ihnen teils jahresscharfe Emissionsminderungen bis hin zur Klimaneutralität im Jahr 2045 vorschreibt. Erstmalig sind all diese Bereiche gesetzlich zu transparenten und überprüfbaren CO2-Einsparungen sowie zu raschem Nachsteuern verpflichtet, sollten die Klimaziele verfehlt werden. Davon profitieren ganz maßgeblich auch die Erneuerbaren Energien: Ohne ihren deutlichen Ausbau, ohne einen beschleunigten Umstieg von Kohle, Öl und Gas auf Wind- und Solarenergie werden wir die im Klimaschutzgesetz gesetzlich verankerten Klimaziele nicht erreichen.

Während das von Svenja Schulze (SPD) geführte Umweltministerium mit dem Klimaschutzgesetz und der Einführung einer sozial ausgewogenen CO2-Bepreisung auf eine durchaus erfolgreiche Legislaturperiode zurückblicken kann, ist die energiepolitische Bilanz des Bundeswirtschaftsministeriums bestenfalls durchwachsen: Zwar ist der Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft gelungen, doch der Ausbau der Erneuerbaren Energien kommt allenfalls mühsam voran: Bei der Windenergie ist es vor allem die finanzielle Beteiligung der Standortgemeinden, die auf dringend benötigte Flächen und neuen Schwung im Ausbau hoffen lässt. In dem von mir maßgeblich verantworteten Bereich der Solarenergie ist es die gegen erhebliche Widerstände seitens der Union durchgesetzte Abschaffung des Solardeckels, die vollständige EEG-Umlagebefreiung bis 30 kWp und die spürbaren Verbesserungen beim Mieterstrom, die den Markt weiter wachsen lassen. Die Verdreifachung des jährlichen PV-Zubaus von 1,75 GW in 2017 auf 5 GW in 2020 und der weitere Aufwuchs auf mindestens 8,5 GW in 2022 sind Signale des Aufbruchs, an die wir in der kommenden Legislaturperiode anknüpfen können. Ein Wemutstropfen aber bleibt: Ambitionierte EEG-Ausbaupfade, die über das Jahr 2022 hinausreichen und dabei auch steigende Stromverbräuche durch E-Autos, Wärmepumpen und erneuerbaren Wasserstoff berücksichtigen, waren mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu machen.

Mit Blick auf unsere Heimat. Wie profitiert Nordhessen von den energie- und klimapolitischen Erfolgen dieser Legislaturperiode?

Seit vielen Jahren gehört Nordhessen zu den Regionen, die eine Vorreiterrolle bei der Energiewende in Deutschland einnimmt. Vorangetrieben wird diese Entwicklung nicht nur von großen Unternehmen wie der SMA Solar Technology AG in Niestetal, Viessmann in Allendorf oder dem Volkswagenwerk in Baunatal sondern auch von kommunalen Stadtwerken und Energiegenossenschaften, engagierten Handwerker, der Universität Kassel, dem Fraunhofer-Institut IWES oder dem Kompetenznetzwerk deENet. Unser Vorteil: Wir haben viele Stufen der Wertschöpfung vor Ort und so bleibt viel Geld im nordhessischen Wirtschaftskreislauf.

Vom Hochlauf der Elektromobilität, der Verdreifachung des jährlichen Solarzubaus, den Erleichterungen bei Mieterstromprojekten oder auch den Fördermitteln für die energetische Gebäudesanierung, die wir in dieser Wahlperiode vervierfacht haben, konnte Nordhessen also ganz unmittelbar profitieren. Die entsprechenden Wirtschaftszweige gehören zu den schnellst wachsenden in der Region und schaffen tausende gut bezahlte, zukunftsfähige Arbeitsplätze. Mittelbar profitieren dann auch die kommunalen Haushalte, die wir zudem an den Erträgen neuer Windenergieanlagen stärker beteiligen werden. Alleine die Erweiterung des Windparks Söhrewald um fünf weitere Windenergieanlagen könnte innerhalb von 20 Jahren rund 1,8 Mio. Euro in die kommunalen Haushalte des Kasseler Ostens einbringen. Damit zeigt sich einmal mehr: Die Energiewende lohnt sich!

Als Bundestagsabgeordneter sind Sie viel unterwegs. Wo sehen Sie Nordhessens besondere Stärken und Chancen?

Die Stärke Nordhessens liegt darin, dass unsere Region genau die richtige Größe hat. Die Akteure kennen sich untereinander und es gibt kurze Entscheidungswege. Gerade in Hinblick auf die Energiewende wurden die Chancen und Potentiale frühzeitig erkannt. Trotz Differenzen im Einzelnen ist klar, dass wir vor allem Windkraft und Photovoltaik weiter ausbauen müssen. Dabei sind Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger Partner der Energiewende. Ich freue mich, dass sich deutlich mehr Menschen in Energiegenossenschaften statt in Bürgerinitiativen gegen Windkraft engagieren.

Wie können wir diese Möglichkeiten noch besser nutzen?

Grundsätzlich sind wir gut aufgestellt. Wir können aber unsere bestehenden Netzwerke in Nordhessen noch weiter stärken und ausbauen. Dazu haben wir gerade eine einmalige Gelegenheit, denn in diesem Jahr stellen sich entscheidende Akteure unserer Region wie die Industrie- und Handelskammer, die Universität Kassel, das IWES, das Regionalmanagement Nordhessen und  das deENet an ihren jeweiligen Spitzen personell neu auf.

Kommunen und Unternehmen, die in die Energiewende und den Klimaschutz investieren wollen, brauchen kompetente Ansprechpartner. Wir müssen die Synergien der Akteure vor Ort noch stärker bündeln, etwa um von den existierenden Förderprogrammen noch besser zu profitieren.

Viele Akteure und Aktivitäten erleben durch die Corona-Pandemie besondere Hürden und Hindernisse. Wie wirkt sich Corona auf die Energiewende aus?

Wie viele andere Industriezweige litten auch die Erneuerbaren Energien gerade zu Beginn der Corona-Krise an zusammenbrechenden Lieferketten und zeitlichen Verzögerungen bei der Realisierung von neuen Projekten. Als Gesetzgeber haben wir deshalb digitale Planungs- und Genehmigungsverfahren eingeführt und gesetzlich vorgeschriebene Realisierungsfristen verlängert. Mittlerweile sind die Herausforderungen weitestgehend andere; durch die stark anziehende Nachfrage insbesondere in China leiden viele Akteure, von der Solar- bis hin zur Automobilindustrie, an Engpässen bei Computerchips und Halbleitern.

Im Großen und Ganzen sind die entscheidenden Akteure aber vergleichsweise robust durch die Krise gekommen. Mitunter konnten sie sogar einen entscheidenden Beitrag leisten, Arbeitsplätze im Handwerk zu sichern und die Konjunktur zu stabilisieren, etwa im Bereich der stark anziehenden energetischen Gebäudesanierung. Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass wir die Coronakrise für die Energiewende auch als Chance begreifen sollten: Die Corona-bedingte Wirtschafts- und die Klimakrise lassen sich gemeinsam lösen, wenn wir das vorhandene Know-How bei uns in Nordhessen, in Deutschland und Europa stärken und zugleich die Wiederansiedelung von kritischen Wirtschaftsbranchen wie der Solar- oder der Batteriezellindustrie unterstützen.

 

Foto: Peter Drews und Thomas Flügge im Austausch mit dem Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels.